Medizinische Gutachten müssen fair und unabhängig sein

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Private Gutachterinstitute

(Olten)(PPS) Dem Genfer Gutachterinstitut Corela wurde wegen gefälschter Gutachten für drei Monate lang die Bewilligung entzogen. Das Bundesgericht hat kürzlich diesen kantonalen Entscheid bestätigt. Für Procap zeigt dieser Fall exemplarisch, dass private Gutachterinstitute wirtschaftlich stark von den Versicherungen abhängig sind. Die Behindertenorganisation fordert gesamtschweizerisch Massnahmen, damit der Anspruch von Menschen mit einer Behinderung oder Krankheit auf (Sozial-)Versicherungsleistungen fair und neutral abgeklärt wird.
 
Westschweizer Medien (RTS, Tribune de Genève) haben über den Fall der Genfer Klinik Corela (neu MedLex) berichtet, welche für zahlreiche Schweizer Versicherer (Krankenkassen, Unfallversicherungen, IV) medizinische Gutachten erstellt. Das Bundesgericht sah es als erwiesen an, dass der Leiter dieses Instituts in verschiedenen Fällen eigenmächtig Gutachten angepasst und beispielsweise die Diagnosen geändert hat - zuungunsten der Versicherten. Er habe dies gegen den Willen des zuständigen medizinischen Experten getan und ohne die Versicherten selber zu untersuchen. Das Bundesgericht hat dies als „gravierende Verfehlung und eine schwerwiegende Verletzung der Berufspflicht“ eingestuft. Die Klinik wird deshalb ab dem 1. März 2018 für drei Monate suspendiert.
 
„Die gefälschten Gutachten von Corela sind ein Skandal. Denn die medizinischen Gutachten entscheiden oftmals darüber, ob jemand Versicherungsleistungen erhält. Die Praxis von Corela hat dazu geführt, dass verschiedene Personen beispielsweise keine Rente erhielten, obwohl sie diese zugute hatten“, erklärt Andrea Mengis, stellvertretende Leiterin der Rechtsdienstes von Procap.

Wirtschaftliche Abhängigkeit der Gutachterinstitute

Die medizinischen Gutachten sind eine lukrative Angelegenheit. Für ein Gutachten erhält ein Gutachterinstitut zwischen 9‘000 CHF und 30‘000 CHF. Bei Corela machen Gutachten heute 97% ihrer Tätigkeit aus. „Es darf nicht sein, dass sich Gutachterinstitute hauptsächlich durch Versicherungsgutachten finanzieren, sonst sind sie nicht mehr unabhängig. Die Gefahr, dass versicherungsfreundliche Gutachten oder gar Gefälligkeitsgutachten erstellt werden, zeigt dieser Fall aus Genf exemplarisch. Die Gefahr besteht für alle Institute, die von den Aufträgen der Versicherer abhängig sind“, erklärt Mengis.

Mehr Mitsprache für Versicherte und bessere Kontrolle der Gutachterinstitute

Personen, die (Sozial-)Versicherungsleistungen beantragen, müssen davon ausgehen können, dass der Prozess der ärztlichen Begutachtung transparent und fair abläuft. Procap fordert deshalb, dass neu - wie dies in anderen Rechtsgebieten üblich ist - Gutachterstellen paritätisch besetzt werden und Versicherte ein Mitspracherecht bei der Auswahl haben.
 
Procap verlangt zudem vom Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) eine bessere qualitative Kontrolle der Gutachterstellen. Das Bundesgericht hatte nämlich schon im Juli 2011 über Massnahmen entschieden, um die Begutachtungen fairer zu gestalten. So wurde bei polydisziplinären Gutachten ein Zufallsprinzip eingeführt, mit dem das jeweilige Gutachterinstitut ausgewählt wird. „Der aktuelle Fall zeigt jedoch, dass diese Kriterien nicht ausreichen, und die Qualität der Abklärungsstellen zu garantieren“, so Mengis.
 
Procap würde begrüssen, wenn das Zufallsprinzip auch auf mono- und bidisziplinäre Gutachten ausgeweitet wird. „Das Wichtigste ist jedoch, dass eine Gutachterstelle finanziell nicht von den Einnahmen durch die Gutachten abhängig ist. Insbesondere in dieser Frage verlangen wir, dass der Bund geeignete Massnahmen ergreift“, erklärt Mengis.
 
Schliesslich fordert Procap, dass die Ergebnisse aus den Gutachten statistisch erfasst werden und öffentlich zugänglich sind, damit die Transparenz in der Begutachtungspraxis gewährleistet ist.

Weitere Informationen:
Procap hat auch die Medienmitteilung des Genfer Anwaltsbüros étude-zlb vom 23.02.2018 mitunterzeichnet (Medienmitteilung inklusiv BGer-Urteil, auf Französisch)

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