Schweizer Konjunktur trotz Risiken auf Erholungskurs

(Bern)(PPS) Konjunkturprognosen der Expertengruppe des Bundes – Herbst 2016* - Die Schweizer Wirtschaft konnte in den vergangenen Quartalen wieder Tritt fassen. Der Brexit-Entscheid hat international zwar die Unsicherheit erhöht, jedoch blieben grössere Verwerfungen an den Finanzmärkten bislang aus. Die Expertengruppe geht derzeit von einer Fortsetzung der moderaten Konjunkturerholung im Euroraum und in der übrigen Welt aus. Unter dieser Voraussetzung ist für die Schweiz mit positiven Impulsen vom Aussenhandel und einer langsamen Festigung der konjunkturellen Erholung zu rechnen. Die Expertengruppe behält damit ihre bisherige Einschätzung (vom Juni) weitgehend bei und prognostiziert für 2016 ein BIP-Wachstum von 1,5%. Für 2017 wird eine Beschleunigung auf 1,8% erwartet. Damit dürfte auch der seit 2015 andauernde leichte Anstieg der Arbeitslosigkeit allmählich ausklingen und die Arbeitslosenquote sowohl 2016 als auch 2017 auf 3,3% (Jahresdurchschnittswerte) zu liegen kommen.

Internationale Konjunktur
Die holprige Erholung der Weltkonjunktur hielt auch im ersten Halbjahr 2016 an. Mit dem Brexit-Entscheid ist nun ein zusätzlicher grosser Unsicherheitsfaktor hinzugekommen. Allerdings haben sich die Finanzmärkte, nach einer kurzen Phase erhöhter Verunsicherung und Volatilität, über den Sommer hinweg weitgehend beruhigt, und die teilweise befürchteten Verwerfungen an den Aktien- und Devisenmärkten sind ausgeblieben. Sofern dies anhält, bestehen gute Chancen, dass sich negative konjunkturelle Auswirkungen eines Brexit grösstenteils auf Grossbritannien beschränken und nur in bescheidenem Ausmass auf Kontinentaleuropa und andere Weltregionen ausstrahlen werden. Daher geht die Expertengruppe von einer Fortsetzung und allmählichen Festigung der weltwirtschaftlichen Expansion im kommenden Jahr aus.

Im Euroraum fiel das BIP-Wachstum nach einem starken 1. Quartal 2016 (+0,5%) im 2. Quartal mit 0,3% etwas bescheidener aus. Für eine Fortsetzung der Konjunkturerholung sprechen insbesondere die expansiven Impulse der Geldpolitik, die kaum mehr restriktiv ausgerichtete Fiskalpolitik sowie die noch immer relativ niedrigen Energiepreise. Der Brexit-Entscheid dürfte das Wirtschaftswachstum des Euroraums in den kommenden Quartalen über den Aussenhandelskanal (schwächere Exportnachfrage aus Grossbritannien) zwar leicht dämpfen, jedoch keineswegs abwürgen. Insgesamt erwartet die Expertengruppe daher für den Euroraum zwar keine weitere Beschleunigung, aber ein solides BIP-Wachstum von jeweils 1,6% für 2016 und 2017. Demgegenüber erscheint für Grossbritannien eine Konjunkturabkühlung wahrscheinlich, weil sich die erhöhte Unsicherheit über die künftigen vertraglichen Beziehungen mit der EU negativ auf Investitions- und Standortentscheide auswirken dürfte. Allerdings zeigen die aktuellen Indikatoren noch kein klares Bild und deuten mehrheitlich nicht auf einen kurzfristigen Einbruch hin.

In den USA blieb das BIP-Wachstum in den ersten beiden Quartalen unter den Erwartungen. Aufgrund dessen wurden die Wachstumsprognosen für die USA vielfach nach unten revidiert. Grundsätzlich scheint die Fortsetzung des Aufschwungs derzeit aber nicht ernsthaft in Frage gestellt. Zum einen dürften gewisse temporäre Faktoren, die in den letzten Quartalen das Wachstum gebremst hatten (z.B. negative Lagereffekte, schwächere Investitionen im Energiesektor), wieder wegfallen. Zum andern zeigt sich der US-Arbeitsmarkt weiterhin robust, was den privaten Konsum unterstützt. Daher dürfte sich das BIP-Wachstum der USA von mässigen 1,5% im Jahr 2016 auf 2,2% im Jahr 2017 verstärken. In den Schwellenländern verlief die Konjunktur weiterhin verhalten, doch scheint die Talsohle allmählich erreicht. In China wird das Wachstum durch expansive Impulse von der Geld- und der Fiskalpolitik gestützt, die einer zu schnellen Verlangsamung entgegenwirken sollen. Demgegenüber steckt Brasilien weiter in der Rezession. In Russland scheint die wirtschaftliche Talfahrt allmählich zu Ende zu gehen, eine deutliche Erholung ist aber nicht in Sicht. Immerhin hellt die jüngste Stabilisierung der Rohstoffpreise die Aussichten für diese Länder etwas auf.

Konjunkturlage und -prognosen für die Schweiz
Nach der wechselkursbedingten Konjunkturabkühlung im vergangenen Jahr hat sich die Schweizer Wirtschaft gegen Ende 2015 und im ersten Halbjahr 2016 wieder erholt. Das BIP-Wachstum beschleunigte sich nach 0,3% im 1. Quartal auf 0,6% im 2. Quartal. Neben der Verstärkung zeigte sich dabei auch eine breitere Abstützung des Wachstums auf die Wirtschaftssektoren. Die inlandorientierten staatsnahen und privaten Dienstleistungen (u.a. Gesundheitswesen, sonstige wirtschaftliche Dienstleistungen) expandierten im 2. Quartal deutlich. Aber auch bei unter der Frankenstärke leidenden Bereichen wie der Industrie und dem Tourismus zeichnet sich eine Entspannung ab.

Allerdings ist die Lage in einzelnen Sektoren (z.B. innerhalb der Industrie) immer noch sehr heterogen. Zudem fielen die jüngsten Konjunkturindikatoren etwas verhaltener aus. Zwar entwickelt sich der Aussenhandel weiterhin solide, und bei den Detailhandelsumsätzen sowie den Logiernächten zeichnet sich immerhin eine Bodenbildung ab. Die Stimmungsindikatoren (Einkaufsmanagerindex, KOF-Barometer, Konsumentenstimmung) haben sich in den Sommermonaten aber eher etwas eingetrübt, was auf die gestiegene Unsicherheit infolge des Brexit-Entscheids zurückzuführen sein könnte. Auch die Stimmungsindikatoren liegen jedoch weiterhin in einem Bereich, der auf eine moderat wachsende Wirtschaft hindeutet.

Die aktuelle Entwicklung der Indikatoren lässt somit für das zweite Halbjahr 2016 eine eher gemächliche wirtschaftliche Expansion erwarten, das Wachstum dürfte also weniger schwungvoll als noch im 2. Quartal ausfallen. Dank der guten ersten Jahreshälfte wird für das Gesamtjahr 2016 ein BIP-Wachstum von 1,5% (bisherige Prognose 1,4%) erwartet. Für das nächste Jahr geht die Expertengruppe weiterhin von einer Festigung der Auftriebskräfte aus, was sich in einer weiteren Wachstumsbeschleunigung auf 1,8% im Jahr 2017 ausdrückt. Nach dem gedämpften BIP-Wachstum von 2015 (0,8%) dürfte die Schweiz demnach wieder auf einen robusten Wachstumspfad einschwenken und sich 2016 sowie 2017 weitgehend im Gleichschritt mit Deutschland bzw. dem Euroraum entwickeln.

Dabei dürfte insbesondere der Aussenhandel wieder vermehrt zum Wachstum beitragen. Vorausgesetzt, dass die internationale Konjunktur durch einen Brexit nur wenig gebremst wird und eine neuerliche starke Frankenaufwertung weiterhin vermieden werden kann, stellen sich die Exportaussichten relativ freundlich dar. Nachdem die Exporterholung bislang stark durch Pharmazieprodukte getrieben war, dürften zunehmend auch andere Exportbereiche wie Maschinen, Elektro, Metalle (MEM), aber auch der Tourismus, wieder vermehrt partizipieren. Die Inlandnachfrage dürfte weiterhin solide Impulse, aber keine deutliche Beschleunigung liefern. Der private Konsum blieb im bisherigen Jahresverlauf vor dem Hintergrund schwächerer Reallohnzuwächse sowie einer leicht verschlechterten Arbeitsmarktlage etwas hinter den Erwartungen zurück. Die Bauinvestitionen befinden sich nach mehreren Jahren starken Wachstums seit 2015 in einer Abkühlung, die nicht unerwartet kommt. Angesichts des anhaltenden Tiefzinsumfelds und der nach wie vor wachsenden Bevölkerung bleiben aber die Aussichten für 2017 sowohl bei den Bauinvestitionen als auch beim privaten Konsum grundsätzlich positiv. Bei den Ausrüstungsinvestitionen ist trotz vieler Unsicherheitsfaktoren in den letzten Quartalen eine Belebung in Gang gekommen, die sich fortsetzen dürfte.

Der Arbeitsmarkt war bislang noch durch die Nachwirkungen der letztjährigen Konjunkturabschwächung geprägt. Das über mehrere Jahre kräftige Beschäftigungswachstum schwächte sich im Verlauf von 2015 und auch noch Anfang 2016 deutlich ab. Während in vielen Dienstleistungsbranchen die Beschäftigung etwas langsamer zunahm, wurden insbesondere in der Industrie Stellen abgebaut. Die Talsohle scheint jedoch durchschritten. Mit fortschreitender Konjunkturerholung rechnet die Expertengruppe mit einem allmählich wieder anziehenden Beschäftigungswachstum im kommenden Jahr. Der seit 2015 andauernde leichte Anstieg der Arbeitslosigkeit dürfte ebenfalls allmählich ausklingen und die Arbeitslosenquote sowohl 2016 als auch 2017 im Jahresdurchschnitt auf 3,3% zu liegen kommen. Bei der negativen Teuerung hat in den letzten Monaten eine langsame Normalisierung eingesetzt, die sich fortsetzen dürfte (Teuerungsprognose 2016 -0,4%, 2017 +0,3%).

Konjunkturrisiken
Generell ist als grösstes Konjunkturrisiko die nach wie vor wenig robuste weltwirtschaftliche Erholung anzusehen, die verwundbar gegenüber Störfaktoren bleibt. Nicht auszuschliessen ist etwa, dass der Brexit-Entscheid negativer als in der Prognose unterstellt auf die europäische Konjunktur durchschlagen könnte. Ein weiteres Risiko besteht in der noch nicht gesicherten Finanzstabilität im Euroraum, wie jüngst die prekäre Lage bei einigen italienischen Banken wieder verdeutlicht hat. Falls die Konjunkturerholung im Euroraum ernsthaft ins Stocken geriete, würde dies die schweizerischen Exporte spürbar belasten. Dies umso mehr, wenn es – im Zuge steigender Verunsicherung an den Finanzmärkten – zu einer neuerlichen Flucht in den Franken käme. Zu erwähnen sind ausserdem die schwache Verfassung wichtiger Schwellenländer (z.B. politische Unruhen in Brasilien) sowie geopolitische Risiken (Eskalation der Gewalt im Nahen Osten, Ukraine-Konflikt, Terroranschläge). In der Schweiz bleibt zudem das Risiko für Übertreibungen an den Immobilienmärkten angesichts des voraussichtlich noch länger anhaltenden Tiefzinsumfelds zumindest latent bestehen.

* Die Expertengruppe des Bundes für die Konjunkturprognosen publiziert viermal pro Jahr eine Prognose der konjunkturellen Entwicklung in der Schweiz. Die jüngste Prognose vom September 2016 wird in dieser Medienmitteilung kommentiert. Die aktuelle Ausgabe der «Konjunkturtendenzen», eine vierteljährliche Publikation des SECO, integriert diese Prognosen und vertieft weitere Aspekte der gegenwärtigen konjunkturellen Entwicklung. Diese Publikation erscheint in gedruckter Form als Beilage der Zeitschrift «Die Volkswirtschaft» (dievolkswirtschaft.ch). Ausserdem ist sie kostenlos auf dem Internet im PDF-Format verfügbar (https://www.seco.admin.ch/seco/de/home/Publikationen_Dienstleistungen/Pu...).

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