VSS-Kongress 2016 im Verkehrshaus Luzern - Individuelle Mobilität als Rezept  gegen Staus und Verkehrschaos

(Zürich)(PPS) – «Agglomerationsverkehr – wie verhindern wir den Kollaps?», lautete das provokante Thema des zweitägigen VSS-Kongresses im Verkehrshaus Luzern. Die ultimative Lösung konnten  die  23  Referentinnen  und  Referenten  den  rund  300  teilnehmenden  Fachleuten verständlicherweise (noch) nicht bieten. Dennoch kristallisierte sich der Trend zur individuellen Mobilität als prägende Kraft des Verkehrs der Zukunft klar heraus. Die Vision ist eine Art Privatverkehr mit den Vorzügen des öffentlichen Verkehrs, der seinerseits gleichzeitig viel individueller gestaltet werden kann. Nicht neue Verkehrsflächen schaffen, sondern bestehende anders und mithilfe von Informationstechnologien in multimodalen Transportketten intelligenter nutzen, lautet die Devise.

«Wir  müssen  für  die  Agglomerationen  aus  einem  ideologischen  hin  zu  einem  multimodalen  Denkschema kommen und dabei auch dem Strassenverkehr das notwendige Gewicht beimessen», forderte Peter Goetschi, Zentralpräsident des Touring Club Schweiz (TCS), in seinem Inputreferat zum VSS-Kongress. Zu lange habe die Vorstellung dominiert, mit der Umlagerung vom Privatverkehr auf den öffentlichen Verkehr (ÖV) könnten die Mobilitätsprobleme gelöst werden. «Es ist an der Zeit, die Probleme nun ausgewogener und frei von Ideologien anzugehen», so Goetschi weiter. Deshalb brauche es in den Agglomerationen sinnvolle Lösungen für die Abnahme des Verkehrs aus den Hochleistungsstrassen – «und nicht Schikanen und andere Blumentöpfe zwecks dessen Behinderung».

Die Breite dieses «ideologischen Spektrums» konnte der Kongress im ersten Teil mit pointierten Referaten zum Velo- und Fussverkehr und zur politischen Sicht sehr gut aufzeigen. Mit Erfahrungen und Erfolgsgeschichten aus den Agglomerationen Luzern, Lausanne, Lugano und Winterthur erhielten die Kongressbesucher anschliessend einen   vielfältigen   Einblick   in   die   praktische   Umsetzung   von   Massnahmen   im   Rahmen   der   Agglo - merationsprogramme. Der zweite Kongresstag widmete sich dann vor allem der Zukunft und der Frage, wie ein möglicher Kollaps verhindert werden kann.

Patentrezepte konnten verständlicherweise noch keine präsentiert werden. Dennoch hat der Kongress einige wichtige Erkenntnisse gebracht:

· Nicht der Massenverkehr, sondern die individuelle Mobilität ist das gestaltende Element des Agglo- merationsverkehrs der Zukunft. Sie ist quasi die «neue Definition» für den Verkehr und steht stellvertretend für das sich abzeichnende Umdenken unserer Gesellschaft. Diese individuelle Mobilität basiert nicht mehr einfach nur auf Infrastruktur, sondern auf IT-gestützten Verkehrssystemen und - angeboten.  Sie  ermöglichen  es,  dass  in  Zukunft  die  Reisewege  viel  individueller  gestaltet  werden können.

· Es braucht weniger neue Infrastrukturen, dafür eine intelligentere Nutzung und andere Verteilung der

vorhandenen Verkehrsflächen. Andere Verkehrsarten erbringen auf der gleichen Infrastruktur eine höhere Leistungsfähigkeit, indem man beispielsweise auf neue leistungsfähigere Busse in speziell geführten Bussystemen setzt und deren Betrieb IT-gestützt optimiert. ETH-Professor Ulrich Weidmann ist überzeugt: «Man kann aus dem Verkehrssystem Bus unglaublich viel herausholen, wenn man ihm die Infrastruktur dazu gibt.»

· Die Anbindung ans Internet wird für den Verkehr der Zukunft unerlässlich. «Wir werden die Möglichkeit

haben, unseren Reiseweg individueller zu gestalten. Der Reisende wird sich nicht mehr in dem Ausmass wie  heute  dem  System anpassen,  sondern  das  System  ist  so  vielseitig  und  flexibel  nutz-  und

kombinierbar, dass es den Anschein macht, als passe es sich dem Nutzenden an. Das Smartphone wird dabei zur Managementzentrale», erklärt Dr. Martina Kühne, Senior Researcher des Gottlieb Duttweiler Institut (GDI).

· Multimodale Transportketten: Der individuelle Verkehr wird immer öffentlicher und der ÖV immer

individueller.

· Mut  zum  Probieren:  Wenn  die  Schweiz  die  rasante  Entwicklung  im  Bereich  der  Mobilität  nicht verpassen will, braucht es in Zukunft mehr Mut, im Betrieb Neues auszuprobieren. Uns fehlt schlicht die Zeit, um auf «optimale Supersysteme» zu warten, die vielleicht gar nie auf den Markt kommen werden.

· Für die Finanzierung braucht es den Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrsfonds (NAF).

Bereits dieses Jahr soll die dritte Generation der Agglomerationsprogramme beim Bund eingereicht werden. Unklar ist jedoch, ob auf nationaler Ebene für die neuen Programme überhaupt Mittel zur Verfügung stehen. 95 % der bisherigen Gelder sind bereits auf Projekte verteilt. «Die Ausarbeitung der Programme erfolgt somit heute in einer Zeit, in der die Mitfinanzierung durch den Bund nicht gesichert ist, und damit auf eigenes Risiko der Regionen, Städte und Gemeinden», sagt Urs Hany, Präsident Fachverband Infra Suisse und Alt-Nationalrat. Deshalb müsse die finanzielle Beteiligung des Bundes über den Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrsfonds (NAF) erfolgen.

Den Aspekt der Finanzierung thematisiert auch VSS-Präsident Dr. Dieter Wepf in seinem Fazit zum Kongress:

«Grundsätzlich kann ich feststellen, dass wir mit dem Agglomerationsverkehr ein Kongressthema gewählt haben, das den Fachleuten tatsächlich unter den Nägeln brennt. Man hat in sämtlichen Referaten einerseits die zum Teil sehr unterschiedlichen Positionen gespürt, anderseits aber auch bei allen die grosse Bereitschaft erkannt, gemeinsam nach Lösungen zu suchen, um den Kollaps im Agglomerationsverkehr abwenden zu können. Für dieses Weiterkommen braucht es mittelfristig aber dringend eine Finanzierung, die heute – dies kam in zahlreichen Voten deutlich zum Ausdruck – noch nicht gesichert ist und letztlich von einem Volksentscheid abhängen wird».

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