Wenn die Invalidenversicherung bei Kindern mit seltenen Krankheiten ohne Diagnose nicht zahlt!

(Uster)(PPS) Seltene Krankheiten – Versicherungsleistungen, Beantragung und Durchsetzung! Wenn die Invalidenversicherung bei Kindern mit seltenen Krankheiten ohne Diagnose nicht zahlt! Der Förderverein für Kinder mit seltenen Krankheiten fokussiert dieses wichtige Thema am 10. KMSK Wissens-Forum Seltene Krankheiten vom 25.2.2023, anlässlich des Internationalen Tages der seltenen Krankheiten!

Eltern von Kindern und Jugendlichen mit seltenen Krankheiten (rund 350 000 betroffene in der Schweiz) tragen eine schwere Bürde. Oftmals ist es weniger ihr Schicksal, das diese Familien belastet, sondern vielmehr die Lösungssuche mit der Invalidenversicherung. Am 10. KMSK Wissens-Forum im Kultur- und Kongresszentrum Luzern KKL, wird dieses wichtige Thema aus verschiedenen Blickwinkeln mit Fachpersonen und einer betroffenen Mutter diskutiert.

«Am meisten Kraft mussten wir darauf verwenden, mit der Invalidenversicherung Lösungen zu finden», diese Aussage hören wir von den 715 betroffenen Familien aus unserem KMSK Netzwerk häufig. Es ist ein bürokratischer Kampf, der oft viel wertvolle Energie kostet und nicht selten Familien an den Rand der Verzweiflung treibt. So etwa die Eltern der 4-jährigen Mira. Das Mädchen kam scheinbar gesund zur Welt, mit der Zeit zeigten sich starke Entwicklungsverzögerungen, Muskelschwäche und oft stundenlange Schreiphasen.Trotz unzähligen Untersuchungen konnte bislang keine Diagnose gestellt werden. Nebst der Belastung, nicht zu wissen, an welcher Krankheit ihre Tochter leidet, ist die Familie damit brutal durch die Maschen der Invalidenversicherung gefallen. Denn, wo keine Diagnose ist, da gibt es keine IV-Ziffer für Geburtsgebrechen und folglich keine Leistungen für Mira. Die Invalidenversicherung stellte deshalb die Zahlungen ab Miras zweitem Geburtstag ein. Begründung: «Wir konnten die Beeinträchtigung von Mira keiner Gebrechens-Ziffer zuordnen. Als rechtliche Konsequenz verweigern wir die Übernahme von medizinischen Massnahmen inklusive der dazugehörenden Behandlungsgeräten und Therapien.» Diese Antwort raubte Miras Mutter den Atem, denn: «Die Gesamtsituation braucht wahnsinnig viel Energie; wir sind auch nachts im Dauereinsatz. Nicht zu wissen, wie es weitergeht und wo wir finanzielle Unterstützung holen sollen, ist extrem belastend», sagt Christina, Miras Mutter.

Kampf mit der IV – Bürokratische Hürden für Eltern von Kindern mit Behinderung | Reportage | SRF mit Mira und ihrer Familie: https://youtu.be/HV8KThGEkHA

«Der Augenschein der IV war traumatisch!»

Ähnlich geht es auch der Mutter des fünfjährigen Marco (Name geändert). Der Junge hatte bereits im Mutterleib zwei Schlaganfälle, ob er überleben wird, war ungewiss. Doch Marco ist ein kleiner Kämpfer, überlebte und lernte, entgegen den Prognosen der Ärzte, laufen und sprechen.

Mit Marcos Geburt lernte seine Mutter auch die Mühlen der Invalidenversicherung (IV) kennen. Als traumatisch bezeichnet sie etwa den Augenschein, den die IV bei ihr genommen hatte. «Nach zwei Stunden war das Urteil der IV gefällt und ich als Mutter wurde mehr oder weniger als unfähig hingestellt», erinnert sie sich. Als unverständlich empfand sie auch die Tatsache, dass sie fast ein Jahr auf die Kostengutsprache für einen Reha-Autositz warten musste. «Ich frage mich, weshalb uns so viele Steine in den Weg gelegt werden und wir um dringend benötigte Hilfsmittel regelrecht betteln müssen?» Schliesslich ginge es ja nicht um irgendwelche übertriebenen Ansprüche, die an die IV gestellt würden, sondern um Hilfsgegenstände, die zur Sicherheit und zum Wohlergehen des Kindes beitragen.

Reine Willkür oder Fehler in der Gesetzgebung?

Steckt hinter solchen Fällen tatsächlich reine Schikane der IV? Martin Boltshauser, Leiter Rechtsdienst von Procap Schweiz vertritt betroffene Familien wie jene von Mia und relativiert: «Im Gesetzt sind gewisse Regelungen vorhanden, welche die IV einhalten muss. Ist etwa ein Behandlungsgerät notwendig, es liegt jedoch kein Geburtsgebrechen vor, so muss die IV ein solches ablehnen. Das ist dann nicht der Fehler der IV, sondern jener der Gesetzgebung.» Tatsächlich scheint hinter einer Vielzahl der abgelehnten IV-Fälle aber auch eine gewisse Willkür zu stecken, mit kantonal grossen Unterschieden. So deckte etwa die Meldestelle von Inclusion Handicap zahlreiche Missstände auf und richtete in der Folge eine Meldestelle für Opfer der Willkür bei IV-Gutachten ein. In kürzester Zeit gingen über 250 Meldungen von Versicherten ein. Bei seltenen Krankheiten kommt hinzu, dass sie oft so selten sind, dass die Gutachter*innen weder Erfahrung damit haben noch, dass es eine Abrechnungsziffer dafür gibt. Schnell ist da der Stempel „abgelehnt“ gesetzt.

Jahrelanger Kampf für eine Unterstützung

Für betroffene Familien ein Drama, sind sie doch auf die Unterstützung der IV angewiesen. «Man hat ein Kind mit einer Behinderung, was viel Zusatzaufwand bedeutet. Als Dessert darf man dafür dann auch noch bezahlen. Das ist extrem ungerecht», sagt Boltshauser. Ohne einen Rechtsbeistand seien Fälle wie jener von Mira schwer zu bewältigen, auch auf emotionaler Ebene. Denn, nicht selten ziehen sich diese über Jahre hin. So wie der Fall der 9-jährigen Julia (Name geändert), die am Rett-Syndrom leidet und schwerstbehindert ist. Knapp vier Jahre kämpften ihre Eltern mithilfe von Anwälten bei der IV um eine Kostengutsprache für die Kinderspitex. Am Ende füllten die Aktenordner mehrere tausend Seiten, die definitive Kostengutsprach wurde gutgeheissen. «Wir wünschen uns einfach nur, dass die IV ein seriöser Partner ist, mit dem man zusammenarbeiten kann. Die Pflege unserer Tochter übernehmen wir gerne», sagt der Vater.

Der Förderverein für Kinder mit seltenen Krankheiten und Stiftungen helfen

Dem können die Eltern von Mira nur beipflichten: «Wir lieben unsere Tochter genauso wie sie ist und tun alles für sie. Aber: wir brauchen zuverlässige Unterstützung!» Unterstützung, die sie derzeit von der IV nicht bekommen. So hat Mira etwa dringend ein Stehbrett für ihre Entwicklung gebraucht, doch fühlten sich weder die Krankenkasse noch die IV zuständig dafür. In solchen Fällen springen immer wieder der Förderverein für Kinder mit seltenen Krankheiten und verschiedene Stiftungen ein. So auch bei Mira: «Dank einer Stiftung wurde uns letztlich ein gebrauchtes Stehbrett finanziert», erzählt Miras Mutter.

Der Förderverein für Kinder mit seltenen Krankheiten hat seit der Gründung 2014 über 2.2 Mio. an betroffene KMSK Familien ausbezahlt, ein Grossteil davon für Hilfsmittel, Therapien und Mobilität, deren Finanzierung von der IV oder Krankenkasse abgelehnt wurde. Macht man es damit den Versicherungen nicht zu einfach? «Die Familien haben oft keine Zeit jahrelang auf Therapien oder Hilfsmittel zu Warten und keine Kraft, dafür zu kämpfen. Betroffene Familien (Kinder bis 18. Lebensjahr) können auf www.kmsk.ch einen Förderantrag ausfüllen und an den Förderverein senden. Nach einer sorgfältigen internen Prüfung wird der Betrag an die Familien ausbezahlt. Aber natürlich würden wir uns wünschen, dass die Versicherungen diese Kosten tragen würden!», sagt Manuela Stier, Gründerin und Geschäftsführerin des Fördervereins für Kinder mit seltenen Krankheiten.

IV-Stellen machen das IV-Gesetz nicht, sondern sie vollziehen es

Dieter Widmer, Direktor der IV-Stelle Kanton Bern versteht, wie belastend die Situation für die betroffenen Familie ist, sagt allerdings auch: «Uns sind oftmals die Hände gebunden, denn die IV-Stellen vollziehen das Bundesgesetz über die Invalidenversicherung. Der gesetzliche Rahmen gibt uns vor, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit eine Krankheit als Geburtsgebrechen gilt oder welche Hilfsmittel finanziert werden dürfen.» Somit liege es nicht im Ermessen der IV-Stellen, von den Vorgaben abzuweichen. Auch dann nicht, wenn ihre Anwendung zu einem für die Betroffenen schwer zu akzeptierenden Ergebnis führt oder dieses allenfalls sogar aus einer volkswirtschaftlichen Optik nicht zu überzeugen vermag. «Die IV-Stellen sind lernfähig und lassen sich gern kritisieren, wenn sich bei ihrer Arbeit Unzulänglichkeiten einschleichen. Für die vom Parlament erlassenen Gesetze, sind sie aber nicht zuständig und möchten deshalb auch nicht dafür verantwortlich gemacht werden», so Widmer.

Wissenstransfer: Das 10. KMSK Wissens-Forum Seltene Krankheiten wird am 25.2.2023 im Kultur- und Kongresszentrum Luzern anlässlich des Internationalen Tages der seltenen Krankheiten mit 200 Gästen durchgeführt.

Den Fokus legt der Förderverein für Kinder mit seltenen Krankheiten auf das Thema «Seltene Krankheiten – Versicherungsleistungen, Beantragung und Durchsetzung». Im Podium diskutieren Martin Boltshauser, Rechtsanwalt Procap, Dieter Widmer, Direktor IV-Stelle Bern, Prof. Dr. med. Anita Rauch, Direktorin am Institut für Medizinische Genetik an der Universität Zürich, Präsidentin Förderverein für Kinder mit seltenen Krankheiten, Dr. Tobias Iff, Kinderneurologe sowie Mutter Christina Schönholzer, betroffene Mutter, über die Herausforderungen bei der Beantragung und Durchsetzung von Versicherungsleistungen. Moderiert wird das Forum von der charmanten SRF Journalistin Daniela Lager. Zum 10. KMSK Wissens-Forum Seltene Krankheiten sind 200 Fachpersonen, betroffene Eltern und Medienverantwortliche kostenlos eingeladen.

Programm

10:30               Eintreffen der Gäste im Kultur- und Kongresszentrum Luzern, Auditorium

10:45               Login Live-Streaming, Login Live-Streaming, https://bit.ly/3tNRyIs

11:00 – 11:10   Begrüssung

Daniela Lager, Moderatorin und Journalistin SRF

11:15 – 11:30   Willkommensgruss Prof. Dr. med. Anita Rauch, Direktorin am Institut für

Medizinische Genetik an der Universität Zürich, Präsidentin Förderverein für Kinder mit seltenen Krankheiten (KMSK)

11:35 – 12:05   Wissenstransfer für betroffene Familien und Fachpersonen; Neue www.wissensplattform.kmsk.ch  Manuela Stier, Gründerin und Geschäftsführerin Förderverein für Kinder mit seltenen Krankheiten

12:10 – 12:40   Seltene Krankheiten – Versicherungsleistungen, Beantragung und Durchsetzung  Martin Boltshauser, Rechtsanwalt, Leiter Rechtsdienst, Mitglied der Geschäftsleitung Procap Schweiz

12:45 – 14:00   Podiumstalk; Keine Diagnose – IV Leistungen eingestellt – gravierende Folgen

                        für Familien!  Daniela Lager im Gespräch mit Martin Boltshauser, Rechtsanwalt

                        Procap, Dieter Widmer, Direktor IV-Stelle Bern, Prof. Dr. med. Anita Rauch,

                        Direktorin am Institut für Medizinische Genetik an der Universität Zürich, Präsidentin

                        KMSK, Dr. med. Tobias Iff, Facharzt FMH für Kinder- und Jugendmedizin,

                        Zentrum für Kinderneurologie AG, sowie Christina Schönholzer, Mutter von Mira, vier

                        Jahre, keine Diagnose.

14.05 – 15:30   Apéro Riche und gemütliches Zusammensein im Clubraum des Kultur- und

                        Kongresszentrum Luzern

Anmeldung     ab sofort offen für Fachpersonen, betroffene Eltern und Medien (Teilnahme nur mit Anmeldung)

bit.ly/3THTbSH

Hier erfahren Sie mehr über den Förderverein für Kinder mit seltenen Krankheiten

Wir setzen uns seit 2014 in der Schweiz mit viel Herzblut für die rund 350 000 Kinder und Jugendliche mit einer seltenen Krankheit und deren Familien ein.

Unsere drei Schwerpunkte:

  • Finanzielle Direkthilfe, seit 2014 rund 2.2 Mio. an betroffene Familien in der Schweiz ausbezahlt.
     
  • Betroffene Familien verbinden, seit 2014 konnten wir mehr als 7700 Familienmitglieder zu
         kostenlosen Familien-Events einladen, aktive Facebook KMSK Selbsthilfegruppe Schweiz mit 655     Eltern, sowie 715 Familien im kostenlosen KMSK Familien-Netzwerk.

Wissenstransfer zum Thema seltene Krankheiten, für betroffene Familien, Fachpersonen und Medien, 2022 rund 80 Beiträge Print/Online/TV/Radio/Blog

Pressekontakt: 

Förderverein für Kinder mit seltenen Krankheiten
Poststrasse 5
8610 Uster

manuela.stier @ kmsk.ch
+41 44 752 52 50 / +41 79 414 22 77