Die menschliche Entwicklung neu gedacht
(Bern)(PPS) Zum 30. Jubiläum des legendären Berichts zur menschlichen Entwicklung (Human Development Report HDR) geht das UNO-Entwicklungsprogramm (UNDP) der Frage nach, was es wirklich braucht, um die menschliche Entwicklung für alle zu ermöglichen. Die neuen Indikatoren berücksichtigen auch die Umweltbelastung und den Ressourcenverbrauch auf nationaler Ebene, nehmen aber mit der Weltwirtschaft verflochtene Länder wie die Schweiz zu wenig in die Pflicht.
Das UNDP präsentierte gestern Abend einen neuen, «um planetarische Belastungen bereinigten» Index zur menschlichen Entwicklung (planetary pressures-adjusted human development index – PHDI) und spannt damit den Bogen zwischen Armut und Ungleichheit auf der einen sowie Ressourcenverbrauch und Umweltbelastung auf der anderen Seite. Denn – so das UNO-Programm bei der Lancierung des neuesten Berichtes – im angebrochenen Anthropozän formt «zum ersten Mal in einer 300‘000 Jahre währenden Beziehung» nicht mehr der Planet den Menschen, sondern der Mensch den Planeten. Klimakrise, demografische Veränderungen, Urbanisierung, die Pandemie und das Aufkommen digitaler Technologien und Ungleichheiten sind zunehmende Herausforderungen unserer Zeit.
Ausweitung der Messgrösse notwendig
Der HDI setzt sich aus Daten zum Lebensstandard (Pro-Kopf-Einkommen), zur Gesundheit und Lebenserwartung sowie zum Bildungsstand der Bevölkerung zusammen. Um die «menschliche Entwicklung im Anthropozän» zu erfassen, umfasst der neue, planetarisch bereinigte Index neben ökonomischen und sozialen nun auch ökologische Kriterien. So wird der HDI im neuesten Bericht mit Daten zu Ressourcenverbrauch (Wasserverbrauch, Waldrodung, materieller Fussabdruck) und Umweltbelastung (CO2-Ausstoss und Stickstoffeinsatz) ergänzt.
Allerdings bezieht sich insbesondere der Indikator für den Pro-Kopf-CO2-Ausstoss lediglich auf Emissionen auf nationaler Ebene. Diese produktionsbasierten Emissionen machen gemäss Bundesamt für Statistik aber nur gerade einen Drittel der Gesamtemissionen der Schweiz aus. «Das zeichnet ein verzerrtes Bild der tatsächlichen Umweltbelastung der Schweiz und vieler westlicher Länder, welche einen Grossteil ihrer ökologischen Kosten externalisieren», sagt Jürg Staudenmann, Fachverantwortlicher Klima- und Umweltpolitik bei Alliance Sud und ehemaliger UNDP-Mitarbeiter. «Weil sie einen Grossteil der Produktion ihrer Konsumgüter in Entwicklungs- und Schwellenländer ausgelagert haben, tauchen damit ausgelöste Emissionen nicht in ihrem nationalen Treibhausgas-Inventar auf.»
Auch der zweite Sub-Indikator des PHDI, der materielle Fussabdruck, zeichnet ein gewisses Zerrbild; obschon damit versucht wird, ein Mass für den Ressourcenaufwand gemessen am Endkonsum darzustellen. Er wird berechnet aus dem Import plus inländischer Förderung minus Exporte von Rohstoffen. Gerade hier kommen rohstoffarme Länder wie die Schweiz trotz hohem Konsum mit einem blauen Auge davon, weil die Verarbeitung von Rohstoffen zu importierten Konsumgütern nicht im Inland erfolgt.
Die Schweiz darf sich nicht rühmen
Gerade Länder wie die Schweiz mit einem überproportional grossen Anteil an importierten gegenüber inländisch produzierten Konsumgütern kommen bei dieser Messmethode sehr viel besser davon als diejenigen Länder, in denen diese Güter hergestellt werden. So erklärt sich, wieso die Schweiz trotz Erweiterung des HDI um ökologische Dimensionen nach wie vor unverändert auf Platz 2 der bereinigten UNDP-Rangliste steht.
«Der neue, auf Rohstoffverarbeitung und Inlandemissionen abstützende Index zeichnet also nur ein Teilbild der «planetaren Belastung» ab und darf die Schweiz und weitere westliche Länder mit weitgehend ausgelagerter Schwerindustrie nicht aus der Verantwortung entlassen. Sie verursachen weiterhin einen Grossteil der globalen Probleme, denen wir als Menschheit heute gegenüberstehen», sagt Kristina Lanz, Fachverantwortliche Entwicklungspolitik bei Alliance Sud.
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